Bezugnehmend auf die Beschlussvorlage Stopp des geplanten Verkehrsversuches „Durchfahrtsverbot in der Friedrich-Loeffler-Straße und in der Domstraße“ [1] nimmt der ADFC Greifswald-Usedom wie folgt Stellung und empfiehlt eine Ablehnung.
Vorteile eines Modalfilters
In vielen Städten leiden Menschen unter den Folgen des Kfz-Verkehrs, der vor allem durch Lärm und Abgase das Verweilen und Wohnen negativ beeinflusst und gesundheitsschädigend ist [2]. Besonders problematisch wird es dann, wenn in Wohnquartieren und Orten des öffentlichen Lebens viel Durchgangsverkehr herrscht. Modalfilter sind eine einfache und kostengünstige Maßnahme, die dabei helfen kann diesen ungewollten Verkehr zu regulieren [3]. Vorteilhaft an Modalfiltern ist, dass Anwohnerinnen und Anwohner, aber auch Gewerbetreibende weiterhin ihr Ziel erreichen können, da lediglich das Durchfahren in ungewollten Bereichen, wie z.B. der Innenstadt, nicht mehr mit dem PKW möglich ist (außer für den Radverkehr, dessen Auswirkungen wesentlich geringer sind, und den ÖPNV, der ein Grundbedürfnis nach Mobilität deckt). Es ändern sich also nur An- und Abfahrtswege und nicht die generelle Erreichbarkeit. Anders als die Beschlussvorlage suggeriert, sollte das in Zeiten von Navigationssystemen kein Problem darstellen und nach einer kurzen Umgewöhnung auch ohne diese funktionieren.
Verkehrsversuch
Da der geplante Modalfilter dezidiert als Verkehrsversuch angelegt ist, erscheint die in der Beschlussvorlage vorgebrachte Argumentation, für das Projekt würden keine ausreichenden Untersuchungen und Prognosen vorliegen, mindestens irritierend. Wie die Stadt in ihrer Stellungnahme richtig betont, ist die Entwicklung des Verkehrs nach der Umsetzung von innovativen Maßnahmen nicht verlässlich vorhersagbar [4]. Genau für diesen Fall gibt es, verankert in der Straßenverkehrsordnung, die Möglichkeit einen Verkehrsversuch durchzuführen, bei dem unter realen Bedingungen das Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer und die Akzeptanz der durchgeführten Maßnahmen wissenschaftlich untersucht wird [5]. Nur dadurch kann eine aussagekräftige Analyse und Bewertung der Maßnahme durchgeführt werden. Der Stopp eines solchen Projektes verhindert also, dass eine Debatte um dringend notwendige Veränderungen der Verkehrsinfrastruktur faktenbasiert geführt werden kann. Die vorliegende Beschlussvorlage kann daher unserer Ansicht nach nur als wissenschaftsablehnend eingestuft werden, was insbesondere für eine Universitätsstadt wie Greifswald kein gutes Signal sendet.
Auch der Hinweis auf einen fehlenden Nachweis der Wirksamkeit hinsichtlich des Klimaschutzes ist für uns aus den genannten Gründen nicht nachvollziehbar. Dass die Schaffung neuer Infrastruktur auch mehr Verkehr erzeugt, ist lange bekannt [6]. Dieser Effekt lässt sich aber nicht nur bei Kfz beobachten, sondern auch für den Radverkehr: So konnte die Stadt Kiel u.a. durch die gezielte Förderung des Rad- verkehrs den Anteil, der mit dem Rad zurückgelegten Wege, von 17 % (2002) auf 22 % (2018) erhöhen (zum Vergleich: Kiel investiert im Jahr 30 EUR pro Kopf für den Radverkehr) [7]. Es liegt also nahe, dass eine attraktive Radverkehrsinfrastruktur langfristig mehr Menschen aufs Rad bringen und somit einen Teil zum Klimaschutz beitragen kann.
Folgen eines Stopps des Projekts
Neben der in der Stellungnahme der Stadt [4] genannten Rufschädigung und dem Verlust weiterer Fördermittel, die an den Verkehrsversuch gekoppelt sind, entstehen bei einem Stopp des Projekts weitere (finanzielle) Verluste und bleiben Potenziale ungenutzt. Es ist durch viele Studien belegt, dass durch eine Verkehrsberuhigung eine hohe Umsatzsteigerung im Einzelhandel
erreicht werden kann [8,9]. Zudem wird systematisch überschätzt, wie viel Umsatz von Kundinnen und Kunden generiert wird, die mit dem Auto anreisen [10]. Die Einführung eines Modalfilters kann zu einer Verkehrsberuhigung beitragen und damit auch die Attraktivität der Greifswalder Innenstadt als Begegnungsort, der zum Verweilen einlädt, erhöhen. Dadurch würden sich nicht bloß die gesundheits-, klima- und geschäftsschädigenden Auswirkungen des Kfz-Verkehrs und die Einschränkung anderer Verkehrsarten verringern, sondern auch der Einzelhandel gestärkt und das Stadtbild verschönert werden.
Fazit
Die Umgestaltung zu einer lebenswerteren Stadt kann nicht gänzlich konfliktfrei geschehen. Damit Maßnahmen möglichst zielgenau umgesetzt werden können, braucht es Daten, die eine faktenbasierte Debatte unterstützen. Dafür sind Verkehrsversuche ein geeignetes Mittel. Ob und in welcher Form Modalfilter beibehalten werden, kann dann mithilfe von empirischen Erkenntnissen diskutiert werden – wofür der Verkehrsversuch jedoch zuerst durchgeführt werden muss. Vieles, was heute noch undenkbar erscheint, wird uns im Rückblick selbstverständlich vorkommen. So lässt sich zum Beispiel heute überhaupt nicht mehr vorstellen, dass der Greifswalder Marktplatz mal voller parkender Autos stand. Und wer möchte schon sein Eis umgeben von Blech, zum Klang von Motoren und dem Geruch von Abgasen genießen?
Johannes Apelt
ADFC Greifswald-Usedom
Lange Straße 14
17489 Greifswald
greifswald@adfc-mv.de
Links
- https://greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020?VOLFDNR=1034483
- https://www.umweltbundesamt.de/daten/umweltindikatoren/indikator-belastung-der-bevoelkerung-durch
- https://www.adfc.de/artikel/modale-filter-beruhigen-quartiere-und-schaffen-platz
- https://greifswald.sitzung-mv.de/public/vo020?VOLFDNR=1034391
- https://www.mobilikon.de/instrument/verkehrsversuch
- https://www.zeit.de/mobilitaet/2024-04/verkehrspolitik-stefan-bratzel-bahnnetz-strassenbau-stau-verkehrsforschung
- Veloplan 3/24
- https://www.derstandard.at/story/2000110059521/begegnungszonen-sind-gut-fuers-geschaeft
- https://www.adfc.de/artikel/fahrradfoerderung-ist-gut-fuers-geschaeft-argumente-fuer-den-einzelhandel
- von Schneidemesser, Betzien, 2012, Local Business Perception vs. Mobility Behavior of Shoppers: A Survey from Berlin, Transport Findings, https://doi.org/10.32866/001c.24497