Der ADFC Greifswald-Usedom lehnt die Beschlussvorlage „Moratorium für nicht notwendige Verkehrs- projekte“ entschieden ab und empfiehlt mit nachfolgender Begründung deren Ablehnung.
Finanzierung
Wie schon in den Anträgen zum Stopp der Baumaßnahme Diagonalquerung und zum Stopp des Verkehrsversuchs Friedrich-Loeffler-Straße/Domstraße, sehen wir auch hier die Belastung für den Haushalt als vorgeschobenen Grund für die Ablehnung der Maßnahmen. Wie die Verwaltung in den jeweiligen Stellungnahmen schlüssig darlegt, können diese Projekte größtenteils aus Fördermitteln finanziert werden: So beträgt z.B. die Förderquote für den Verkehrsversuch Innenstadt 100 % und für die Baumaßnahme Karl-Liebknecht-Ring/Pappelallee voraussichtlich 75 % [1]. So ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass in allen Anträgen Argumente hervorgebracht werden, die diese Projekte grundlegend infrage stellen und sich nicht auf die Finanzierung beschränken.
Dem ADFC liegen keine konkreten Zahlen dazu vor, wie in Greifswald die Zuschüsse der Kommune auf die einzelnen Verkehrssektoren ausfallen (eine Anfrage bezüglich der Investitionen in den Radverkehr liegt der Verwaltung vor). Allerdings ist davon auszugehen, dass auch bei uns der individuelle KFZ Verkehr mit Abstand die höchsten Kosten verursacht, was mehrere vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderte Studien für deutsche Kommunen allgemein nahelegen [2,3]. Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als fragwürdig, dass in einer Stadt, in der der Anteil der mit dem Rad und zu Fuß zurückgelegten Wege 61 % beträgt [4], vergleichsweise kostengünstige Projekte, die diesen Verkehrsarten zugutekommen, als „nicht notwendig“ abgetan werden.
Notwendigkeit
Die Notwendigkeit für eine Verkehrswende ist wissenschaftlich wenig umstritten und auch in der (Bundes-)Politik anerkannt [5]. Dabei geht es explizit nicht nur um die Veränderung von Antriebs- und Energietechnologien, sondern auch um soziale Gerechtigkeit, wie die Bundeszentrale für politische Bildung berichtet [6]: „ Menschen mit niedrigen Einkommen sind tendenziell stärker von verkehrsbedingten Luftschadstoffen und Lärm betroffen als sozial besser Gestellte. Frauen, Kinder oder ältere Menschen, für die Fußverkehr eine wichtige Rolle spielt, sind in unseren vom Auto dominierten Städten benachteiligt. Die spezifischen Umweltkosten des Autoverkehrs werden zu einem erheblichen Teil nicht von den Verursachenden getragen, sondern auf die Gesellschaft abgewälzt. Die Preise im öffentlichen Personennahverkehr sind doppelt so stark gestiegen wie die Kosten für Kauf und Unter- haltung von Kfz.“ Weiterhin hat die Förderung von Rad- und Fußverkehr durchaus auch Potenzial sich positiv auf die Klimabilanz auszuwirken [7]. So geht eine gezielte Förderung des Umweltverbundes im Verkehr auch mit einer Veränderung des modal splits einher und kann so einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Emissionen leisten. Es erscheint daher verwunderlich, warum in der Beschlussvorlage ver- merkt wird, dass die angedachten Maßnahmen keine Auswirkungen auf den Klimaschutz haben würden.
Konkret für die Maßnahme Karl-Liebknecht-Ring/Pappelallee ist uns als ADFC unklar, wie die Einbrin- ger:innen zu dem Schluss kommen, dass dort keine Probleme im Verkehr auftreten. Im Rahmen der Kidical Mass Aktionstage, die wir nun zum dritten mal mit je ca. 100 Teilnehmenden durchgeführt haben, wurden wir wiederholt von Eltern darauf angesprochen, dass gerade diese Kreuzung für viele Kinder auf dem Schulweg liegt und dort großes Konflikt- und Gefahrenpotenzial wahrgenommen wird. Auch die Stadtverwaltung in ihrer verkehrsplanerischen Analyse kommt zu dieser Einschätzung [1] und wir können das aus unserem persönlichen Alltag als Radfahrende auch bestätigen.
Durchgangsverkehr und Einzelhandel
Die in der Beschlussvorlage vorgebrachte Auffassung, dass für die Greifswalder Innenstadt ein frei fließender Durchgangsverkehr entscheidend für die Attraktivität und Prosperität ist, widerspricht den mittlerweile gut belegten Kenntnissen aus der Forschung. Leider hält sich dieser Irrglaube hartnäckig und es wird immer noch systematisch überschätzt, wie wichtig das Auto und Parkplätze für den Einzelhandel in Innenstädten sind. Tatsächlich hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass eine Verkehrsberuhigung die Aufenthaltsqualität steigt und somit auch dem Einzelhandel zugutekommt. Menschen, die ihren Einkauf nicht mit dem Auto erledigen, geben zwar pro Einkauf weniger aus, kaufen dafür aber umso häufiger ein und sorgen so in der Summe für mehr Umsatz. Zudem ist für sie vor allem der Einkauf in nahe gelegenen Geschäften attraktiv, weshalb sie vor allem den lokalen Einzelhandel stärken. Eine Zusammenstellung einiger Studien und einzelner Beispiele aus der Praxis findet man z. B. hier: https://www.adfc.de/artikel/fahrradfoerderung-ist-gut-fuers-geschaeft-argumente-fuer-den-einzelhandel.
Fazit
Die vorliegende Beschlussvorlage basiert auf Argumenten, die größtenteils nicht belegt werden bzw. sogar dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand widersprechen. Verkehr ist ein Bereich des öffentlichen Lebens, der viele Menschen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen beeinflusst. Debatten um notwendige Veränderungen können daher wohl auch nicht gänzlich reibungslos ablaufen. Gerade in einer Universitätsstadt wie Greifswald würden wir uns allerdings wünschen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ernst genommen werden und die Grundlage für die Diskussion darstellen. Zudem sei an dieser Stelle daran erinnert, dass eine Verkehrspolitik, die rein auf den motorisierten Individualverkehr ausgelegt ist, gerade in Greifswald mit seinem hohen Anteil an Fuß- und Radverkehr die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer:innen nicht berücksichtigt.
Johannes Apelt
ADFC Greifswald-Usedom
Lange Straße 14
17489 Greifswald
greifswald@adfc-mv.de
Links
- Stellungnahme der Verwaltung vom 11.11.2024, BV-P-ö/08/0103-02
- Mobilitätsforum Bund, 2024, https://www.mobilitaetsforum.bund.de/DE/Themen/Wissenspool/Projekte/Proj ektbeispiele/Projekte/12363_kostenvergleich_zwischen_radverkehr_fuss.html
- Umweltbundesamt, Texte 88/2016, Effekte umweltorientierter Verkehrskonzepte auf den kommunalen Haushalt, Endbericht https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/effekte- umweltorientierter-verkehrskonzepte-auf-den
- Verkehrsmittelwahl der Greifswalder Bevölkerung, Ergebnisse der Haushaltsbefragung im Oktober 2014
- Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, 01/2023, Mobilitätswende in Stadt und Land–Klimaschutz und räumliche Gerechtigkeit als Transformationsziele des Verkehrs https://www.bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlag e/G/wissenschaftlicher-beirat-gutachten-mobilitaetswende.pdf?__blob=publicationFile
- Bundeszentrale für politische Bildung, 2023, https://www.bpb.de/themen/klimawandel/dossier-klimawandel/516 500/nachhaltige-mobilitaet
- Umweltbundesamt, Texte 19/2013, Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/potenziale-des-radverkehrs-fuer-den-klimaschutz